Die Waffen
1569, als Carranza seine Filosofia de las Armas verfasst ist das Seitschwert (vom italienischen “Spada da Lato”) die wohl verbreitetste Form des Schwertes in Europa. Dieses entwickelt sich im 15. Jahrhundert nach und nach aus dem mittelalterlichen Schwert.
Zunächst werden die einfachen Kreuzstangen durch einen oder zwei kleine Fingerringe ergänzt, die es ermöglichen den Zeigefinger über die Kreuzstange zu legen, um mehr Kontrolle über die Spitze der Waffe zu erlangen. Um ca. 1500 tauchen dann die ersten mehrspangigen, komplexen Gefäße auf und das Seitschwert löst im Laufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das mittelalterliche Schwert vollständig ab.
Die Klingen von Seitschwertern variieren stark und können sowohl denen ihrer mittelalterlichen Vorfahren sehr ähnlich sehen als auch deutlich stärker an die späteren, längeren und meist schlankeren Rapierklingen erinnern. Tatsächlich werden gerade im 15. und frühen 16. Jahrhundert noch recht häufig ältere Klingen mit neuen, komplexeren Gefäßen ausgestattet. Grundsätzlich gilt aber, dass Seitschwertklingen tendenziell etwas länger und schlanker sind als die mittelalterlicher Schwerter. Dennoch bleiben diese Klingen sowohl für den Hieb als auch für den Stich gut geeignet. In vielen Fällen zeichnen sich diese Klingen auch durch ein klar definiertes Ricasso, d. h. einen kurzen, stumpfen Abschnitt der Klinge direkt hinter der Kreuzstange aus, der dafür gedacht ist ihn mit dem Zeigefinger zu umgreifen. Dieser Bereich wird von den bereits erwähnten Fingerringen geschützt.
In Carranzas Werk sind aller Wahrscheinlichkeit nach Schwerter dieses Typus abgebildet. Man sieht ein komplexes, wenn auch noch recht simples Gefäß, das möglicherweise lediglich aus einer Kreuzstange mit zwei Fingerringen und einem Faustbügel besteht. Die Klinge ist relativ kurz, gerade, zweischneidig und schlank, weist aber gleichzeitig noch ein recht gutes Hiebprofil auf.
1566, drei Jahre vor der Vollendung der Filosofia de las Armas, erlässt König Philipp II. von Spanien ein Edikt bzgl. der maximalen Länge der Schwerter, die in seinem Reich zu tragen erlaubt sind.
„Uns wurde mitgeteilt, dass in den genannten Städten, Dörfern und Orten einige Schwerter, Verdugos und Estocs getragen werden, die mehr als sechs und sieben und acht Spannen lang sind. Aus diesem Grund gab und gibt es viele Unannehmlichkeiten und Todesfälle von Männern. In dem Bestreben, hier Abhilfe zu schaffen, und zwar durch Diskussionen in unserem Rat und Konsultationen mit Uns, wurde vereinbart, dass Wir aus dem genannten Grund anordnen sollten, dass Ihnen dieses Schreiben zugestellt wird, und Wir hielten dies für richtig. Aus diesem Grunde befehlen und gebieten Wir, dass ab jetzt und von hier an, nach fünfzehn Tagen, gerechnet ab dem Tag der Veröffentlichung dieses Briefes, niemand von welchem Rang und Stand auch immer er sein mag, es wagen sollte, die besagten Schwerter, Verdugos oder Estocs mit Klingen, die länger als fünf Viertel einer Vara sind, zu tragen, unter der Strafe, dass Derjenige, der eines trägt, und sich zum ersten Mal verfehlt eine Strafe von zehn Dukaten, zehn Tagen Zuchthaus und den Verlust dieses Estocs, Verdugos oder Schwertes erleidet. Für das zweite Vergehen [dieser Art] wird die Strafe verdoppelt und es gibt ein Jahr Exil von der Stadt, dem Dorf oder dem Ort an dem er ergriffen wurde und dem er benachbart war . . . .“
Philip II., Edikt bzgl. der Länge von Schwertern und Estocs, 1566
Durch dieses Edikt ist die maximale Klingenlänge des Schwertes klar definiert. Eine Vara ist eine alte spanische Maßeinheit, die in etwa 83,5 cm entspricht. 5/4 einer Vara sind entsprechend ca. 104 cm. Demnach darf die Klinge vom Kreuz bis zur Spitze maximal 104 cm messen. Dies ist in der Mitte des 16. Jahrhunderts noch recht lang für ein einhändig geführtes Schwert. Im späten 16. und im 17. Jahrhundert werden die Klingen allerdings im Rest Europas immer länger und erreichen schnell Längen jenseits dieser 104 cm. In Spanien bleibt dieses Gesetz allerdings bis ins 18. Jahrhundert in Kraft, sodass selbst in Francisco Lórenz de Radas Nobleza de la Espada von 1705 Rapiere mit dieser Klingenlänge beschrieben werden.
Im Laufe des 16. Jahrhunderts entwickelt sich das Seitschwert vor allem im zivilen Kontext zum längeren, schlankeren und stoßorientierteren Rapier. Schon ab ca. 1520 werden die Gefäße um weitere Bügel und Spangen ergänzt und ab etwa 1550 finden sich die ersten voll ausgebildeten Rapiergefäße. Ab wann ein Seitschwert zum Rapier wird ist nicht eindeutig definiert. Generell zeichnen sich Rapiere durch längere und schlankere Klingen mit einer deutlich zu Gunsten des Stoßes ausgelegten Geometrie und meist deutlich komplexere Gefäße aus. Die Länge der Klinge variiert stark und erreicht in weiten Teilen Europas oft mehr als 110 cm.
Abbildungen solcher Schwerter finden sich z. B. in Luis Diaz de Viedmas Método de Enseñanza de Maestros von 1639 und Gerard Thibaults Academie de l’Epée von 1630.
Um diese Zeit tauchen auf der iberischen Halbinsel und in Süditalien die ersten Schalen- und Glockengefäße auf. Hierbei werden die Spangen und Bügel durch eine Glocke, oder zwei große Muschelartige Schalen aus dünnem Blech abgelöst, die meist durch Schrauben mit den beiden Fingerringen verbunden sind und der Hand exzellenten Schutz bieten. Zusätzlich setzen sich für diese Gefäßform oft sehr lange, gerade Kreuzstangen in Kombination mit einem einfachen Faustbügel durch. Diese Form des Rapiers wird sich ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zur charakteristischen Waffe des spanischen Diestros und zu einem wichtigen Bestandteil der höfischen Garderobe entwickeln und erst im 18. Jahrhundert langsam vom französischen Hofdegen abgelöst werden. Rapiere dieses Typs finden sich z. B. in Francisco Lórenz de Radas Nobleza de la Espada.
Nachdem im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts Frankreich seine Vormachtstellung in Europa immer weiter ausbauen kann und Spanien nach und nach an Einfluss verliert, wird der Einfluss Frankreichs auch im Bezug auf die Fechtkultur in Spanien immer deutlicher. Der Hofdegen, der sich, schon ab etwa 1630, vor allem aber in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus den simpleren und leichteren Rapierformen entwickelt und die französische Fechtschule verdrängen nach und nach das Rapier und dessen Verwendung im Sinne von "La Verdadera Destreza" (LVD). Tatsächlich finden sich Abbildungen aus dieser Zeit, die behandeln, wie man einem Diestro mit seinem “überlangen Schwert” mit dem Hofdegen begegnen soll.​​
Fechtkunst (Domenico Angelo); Cod. I.6.2° 6; Universitätsbibliothek Augsburg
Auch für den Umgang mit dem militärischen Säbel finden sich u. A. mit Simon de Frias’ Tratado Elemental de la Destreza Del Sable von 1809 noch Fechtbücher, die sich entfernt der Tradition der wahren Geschicklichkeit zuordnen lassen.
Eine Sonderstellung unter den für das Fechten im spanischen Stil verwendeten Klingenwaffen nimmt das Montante, das iberische Gegenstück zum deutschen Schlachtschwert und dem italienischen Spadone, ein. Dieses Schwert ist eine ausschließlich mit zwei Händen zu führende, etwa mannshohe Waffe, die im 16. und 17. Jahrhundert auf der gesamten iberischen Halbinsel verbreitet ist. Das Montante verfügt im Verhältnis zum deutschen Schlachtschwert über eine vergleichsweise schlanke Klinge mit kleinen Parierhaken am Ende des Ricassos und meist über ein relativ simples Gefäß, das lediglich aus einer Kreuzstange und ggf. zwei Parierringen besteht.
“Sowohl Pacheco de Narváez (in seiner “Nueva Ciencia”) als auch Rodríguez de Canto (ein Jahrhundert später) geben an, dass ein Montante genauso lang sein sollte wie ein Mann durchschnittlicher Statur dieser Zeit groß ist, also zwei kastilische Vara. Eine vara castellana entspricht 83,59 Zentimeter, was bedeutet, dass die ideale Länge für ein Montante 167,18 cm - also fast 170 cm, oder etwa 5,5 Fuß entspricht. Pacheco gibt auch an, dass das Verhältnis zwischen Klinge und Griff sechs zu zwei sein sollte, was bedeutet, dass das ideale Montante 125,38 cm Klingenlänge und ein 41,80 cm langes Gehilz haben sollte.”
Ton Puey, An Overview of the Iberian Montante, Agaea Editoria, 2016
Angaben zur Verwendung des Montante finden sich sowohl in Fechtbüchern des Escrima Común, der “herkömmlichen” iberischen Fechtkunst, als auch in LVD. Diogo Gomez de Figueyredo schreibt in seinem Memorial Da Prattica do Montante 1651 als einziger Destreza-Autor ausführlich über die Verwendung dieser hochspezialisierten Waffe. Er tut dies allerdings wie schon Luis Godinho 1599 in Form sogenannter Regeln, wie im Esgrima Común üblich. Dies entspricht nicht der ansonsten prinzipien- und konzeptbasierten Didaktik im restlichen Destreza-Quellenkorpus. Weitere Erwähnungen des Montante finden sich auch in anderen Destreza-Quellen. Allerdings sind die konkreten Anweisungen zur Verwendung dieser Waffe dort sehr spärlich. Es wird lediglich deutlich, dass man der regelbasierten Lehrform eher abgeneigt ist.
Einer dieser Destreza-Autoren, Pérez de Mendoza, hält das Montante sogar für die Königin aller Waffen.
Neben den verschiedenen, oben beschriebenen Schwerttypen finden auch andere Waffen Verwendung in LVD. Dazu gehören vor allem verschiedene Beiwaffen, wie z. B. der Dolch, unterschiedliche Formen von Schilden und der Mantel, aber auch Stangenwaffen wie Piken und Hellebarden sowie das Mangual, eine Art Kriegsflegel.
Zum Dolch findet sich beispielsweise bei Diaz de Viedma folgendes Zitat:
“Der Dolch muss mindestens eine halbe Vara lang sein, was von beachtlichem Vorteil ist. Die Haltung muss über dem Arm sein, dicht an der Brust, damit weder das Schwert seine gerade Ausrichtung noch der Körper sein Profil verliert.”
Luis Diaz de Viedma, Método de Enseñanza de Maestros, 1639, F. 53r
Weder zu den Stangenwaffen, noch zur Verwendung des Mangual gibt es ausführliche Abhandlungen in den Destreza-Texten. Zum Mangual wird lediglich gesagt, dass es wie das Montante zu verwenden sei. Es sei aus offensichtlichen Gründen lediglich von der Verwendung von Stichen abzusehen.
Insgesamt erhebt LVD den Anspruch eine universelle Kampfkunst zu sein, die sich sowohl auf alle Arten von Waffen, als auch auf den unbewaffneten Kampf anwenden lassen soll.
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Textbeitrag von Malte Melms.
Quellen:
Jerónimo Sánchez de Carranza, Filosofia de las Armas, 1582, f. 183r
Gerard Thibault, Academie de L’Espée, 1630, Kapiztel 1
Francisco Lorenz de Rada, Nobleza de la Espada, 1705
Perez de Mendoza, Resumen de la Verdadera Destreza de las Arma, 1675
Domingo Luis Godinho, Arte de Esgrima, 1599
Domenico Angelo, L'École des armes, 1763, Abb. 18 u. 19, Fig. 43 u. 44
Simon de Frias, Tratado Elemental de la Destreza Del Sable, 1809, Fig. 1
A. V. B. Norman, The Rapier and the Small-Sword, 1460 - 1820, 1980, S. 32 ff., 37 ff., 44 f., 45, 47
Puck Curtis und Mary Dill-Curtis, From Page to Practice, 2009
Ton Puey, An Overview of the Iberian Montante, Agaea Editoria, 2016: http://ageaeditora.com/en/an-overview-of-the-iberian-montante/