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Diestro/ Diestra

Was es bedeutet ein(e) Diestro/Diestra sein

Eine Übersetzung des Essays „Being a Diestro“ von Sébastien Romagnan

 

Wir als La Verdadera Destreza Trainierende streben danach, Diestros/Diestras zu werden. Deshalb halte ich es für wichtig, zu versuchen, dieses Wort zu definieren. Man könnte sich an einer eher technischen Definition dahingehend orientieren, dass ein Diestro/eine Diestra schlicht jemand ist, der La Verdadera Destreza praktiziert und/oder beherrscht. Diese Erklärung erscheint mir aber als zu kurz gefasst, da mit diesem Begriff die damit verbundenen moralischen und philosophischen Dimensionen nicht berücksichtigt werden. Um auf diese beiden Aspekte einzugehen, werden wir die Einstellung des Diestro (Der Begriff wird in Folge kontextgebunden nicht mehr gegendert) gegenüber Duellen und Streitigkeiten sowie die intellektuellen und physischen Qualitäten des Diestro untersuchen und dann abschließend sein Verhalten während des Kampfes beleuchten.

 

Die Einstellung des Diestro zu Duell und Streit

In der kollektiven Vorstellung verkörpert der Diestro des spanischen goldenen Jahrhunderts das Bild eines hochmütigen, arroganten und kriegerischen Mannes. Dieses Bild wurde durch die französische Literatur, wie “Die drei Musketiere”, “Cyrano de Bergerac” oder “Der Glöckner” sowie durch das Kino beeinflusst. Tatsächlich kreuzen die Protagonisten in diesen Büchern anlässlich der geringsten „Beleidigung" schnell die Schwerter und sind bereit, für einen Schubs oder einen scheelen Blick von der Seite bis zum Tod zu kämpfen. Ich glaube, dass dieses Bild falsch ist. Es stimmt wohl, dass die Hidalgos (Anmerkung des Übersetzers: Hidalgo [iˈðalɣo] (eine Abwandlung von hijo de algo, sinngemäß „Sohn einer Familie mit Besitz“)) des goldenen Zeitalters in einer Zeit lebten, in dem die eigene Ehre wichtiger war als das Leben, weshalb ein Verhaltenskodex für Ehrenmänner hinsichtlich seiner Pflege von Beziehungen im Allgemeinen sowie konflikthaften Beziehungen im Besonderen unerlässlich war. Aber diese Regeln beschränkten sich nicht auf die Kodifizierung des Duellierens, das - daran sei erinnert - durch das spanische Gesetz und den Trienter Rat verboten war. Ein Duell widerspricht der christlichen Moral und Ehre. Jeronimo de Urrea, ein spanischer Hauptmann aus dem aragonesischen Haus der Jimenez de Urrea, schrieb 1566 im “Dialogo de la verdadera Honora militar”, dass der Brauch des Duellierens der wahren militärischen Ehre widerspricht und dass man sich dadurch nur selbst beleidige. Darüber hinaus bestreitet er, dass das Ergebnis eines Duells mit einem Gottesurteil zusammenhängt. Deshalb schlägt er Lösungen vor, die eine Beschwichtigung befürworten. Für ihn reichen Entschuldigungen aus, um die große Mehrheit der Ehrenstreitigkeiten beizulegen. Er erkennt jedoch an, dass in einigen Fällen ein Duell erforderlich ist, um Tod oder Verstümmelung zu vermeiden oder die Schwachen gegen die Starken sowie die Kirche oder den König zu verteidigen.

Don Artal de Alagon, Graf von Sastago und Generalleutnant des Königreichs Aragon, folgt dieser Entwicklung. In seinem Buch “Concordia de las leyes divinas et y humanas y desengano de la iniqua ley de la venganza” porträtiert er einen Adligen, der jederzeit über Selbstkontrolle verfügt und daher lediglich aus begründeten Anlässen kämpft. Don Artal de Alagon hält es für undenkbar, dass ein gewöhnlicher Unruhestifter einen Hidalgo unter einem nutzlosen Vorwand herausfordern könnte. Diese Einschätzung wird auch von anderen Fechtmeistern gestützt, die Fechtbücher verfasst haben und sich gegen das Duellieren aussprechen. In dem Buch “Filosofia de las armas” von Jeronimo de Carranza, das 1569 geschrieben und 1582 veröffentlicht wurde, haben philosophische und moralische Erwägungen Vorrang vor Kampftechniken. In seinem Buch setzt er sich konsequent für Mäßigung in allen Situationen ein. Als Reaktion auf die meisten Beleidigungen hält Carranza ein einfaches Leugnen für ausreichend. In den schwerwiegendsten Fällen reiche eine Buße des Täters aus, um den Konflikt zu lösen.

Im Kampf, wenn es sich als unvermeidlich erweist, erklärt Carranza, dass der Diestro den Eifer des Angreifers durch „einige geschickte Techniken in die Schranken weisen kann, ohne ihn töten zu müssen"; (f°244). Für ihn besteht die höchste Genugtuung gerade darin, das Leben seines Gegners in seiner Gnade zu wissen und ihm zu verzeihen (f°239). Trotz aller Kritik, die Luis Pacheco de Narvaez an Carranza übt, stellt er dessen Moralphilosophie nicht in Frage. Auch er lehnt das Duellieren und damit das gewöhnliche Fechten, aus dem es stammt, ab. Er scheint jedoch den ritterlichen Duellen als Ausdruck wahren Mutes nachzutrauern. Miguel Perez de Mendoza und Christoval de Cala folgen dieser Logik. In ihren Büchern wird Fechten gelehrt, ohne jemals zum Duell zu drängen. Für sie ist La Verdadera Destreza eine Schule der Selbstbeherrschung, des Mutes, der Weisheit und der Geduld. Durch den defensiven Charakter und der Bewegung der Konklusion (Movimento de conclusion - Entwaffnung), die es ermöglicht, den Gegner zu neutralisieren, ohne ihn töten zu müssen, löst La Verdadera Destreza das Dilemma, welches sich aus der banalen Verpflichtung, ein Duell zu akzeptieren und dem christlichen Tötungsverbot, ergibt.

 

Die intellektuellen und physischen Qualitäten des Diestro

1675 erklärt Don Francisco de Ettenhard in seinem Buch “Compendio de la Verdadera Destreza y philosophia de las armas” die geistigen und körperlichen Qualitäten, die ein guter Diestro besitzen muss.

Die Qualitäten sind zuallererst sein Verständnis, seine Klugheit, die es ihm ermöglichen, einen Kontext im ständigen Wandel zu verstehen, zu analysieren und sich entsprechend anzupassen. Das zweite ist Einfallsreichtum. Auf diese Weise kann der Diestro die Techniken entwerfen, die für seine Verteidigung und den Angriff des Gegners notwendig sind. Optionen müssen ihm leicht, schnell und im Überfluss in den Sinn kommen. Deshalb ist eine dritte Qualität von wesentlicher Bedeutung: das Gedächtnis. So wird der Diestro in die Lage versetzt, sich alle Arten von Techniken und die Situationen, in denen er sie anwenden kann, zu merken. Die vierte Eigenschaft ist Mut, die es ihm erlaubt, im Kampf die Strenge und Entschlossenheit beizubehalten. Der mutige Diestro behält die Kontrolle über seine Emotionen und lässt sich von Vernunft leiten, nicht von der Angst. Die fünfte Eigenschaft ist Schnelligkeit, die es ihm erlaubt, schnell zu handeln, ohne dem Gegner Zeit zu geben, die Situation zu analysieren oder sich an die Situation anzupassen. Die sechste ist Stärke, um die Waffe des Gegners mit ausreichender Energie zu kontrollieren, und die siebte und letzte ist eine gute Symmetrie des Körpers. Ettenhard stellt intellektuelle Qualitäten, wie Verständnis, Einfallsreichtum und Gedächtnis an erster Stelle, dann folgen moralische Qualität, Mut, und schließlich körperliche Qualitäten, wie Schnelligkeit, Kraft und Koordination. Für ihn ist der Diestro zunächst einmal ein Intellektueller, bevor er das wird, was wir heute einen Sportler nennen würden.

 

Die Haltung des Diestro im Kampf

Wie wir gerade gesehen haben, soll der Diestro ein weiser, mutiger und humanistischer Mann sein. Er hat unter allen Umständen Selbstkontrolle zu wahren, daher ist es logisch, dass die oben genannten Charaktereigenschaften während des Kampfes zum Ausdruck kommen. Ein Diestro soll immer die richtige Haltung einnehmen: Kopf hoch, Brust entspannt und Arm horizontal zum Boden. Er respektiert seinen Gegner und betrachtet ihn mit Wertschätzung, denn er wird nie etwas Gutes aus übersteigertem Selbstbewusstsein ziehen. Er soll bestrebt sein, die Waffe des Gegners jederzeit unter seiner Kontrolle zu halten. So sichert er seine Verteidigung so gut wie möglich und analysiert die Taktik seines Gegners. Er soll in ständiger Bewegung kämpfen, um seinen Gegner daran zu hindern, dasselbe zu tun. Sein Ziel muss es sein, zur Bewegung der Konklusion zu kommen. Aber wenn es erforderlich werden sollte, seinen Gegner zu töten, so muss er dies so schnell wie möglich mit Stichen bewerkstelligen, die weniger wahrnehmbar und schwieriger zu verteidigen sind als Hiebe von rechts oder links. Je länger ein Kampf andauert, desto mehr soll er wachsam bleiben, mit Rücksicht handeln und nicht unnötig reden, was sich allgemein in Ärger, mangelnder Selbstkontrolle und Konzentrationsverlust äußern kann. Er hört auf das Geräusch der Klingen und nicht auf das Geräusch der Stimmen. Falls es ihm gelingen sollte, seinen Gegner zu verletzen, soll er seinem Gegner keine zweite Verletzung zufügen, was ein Beweis für Feigheit und Grausamkeit wäre. Falls die Waffe des Gegners zerbrechen sollte, soll er diese Situation nicht ausnutzen. Falls der Gegner fallen sollte, soll er ihn aufstehen lassen und, falls der Gegner müde wird, ihm einen Waffenstillstand anbieten.

Abschließend folgt ein Zitat aus dem Buch “Compendio de las definiciones y principos de la ciencia de las armas” von Diego Rejon de Silva, das meiner Meinung nach die Haltung des Diestro während eines Kampfes perfekt zusammenfasst.

 

„Der Diestro muss zuerst seine Verteidigung und dann die Verteidigung seines Gegners sicherstellen".

 

Übersetzung von Chris Lee-Becker mit Erlaubnis des Autors

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